Sonntag, 30. November 2014

Drei-Stunden-Parteitagsrede: Ich habe durchgehalten!



So schnell kann’s also gehen. Da saß ich plötzlich und unverhofft in einer Wahlveranstaltung der Partei DIE LINKE. Wohin einen die Neugierde nicht alles treibt. Aber ich liebe Informationen aus erster Hand, auch wenn sie manchmal ein starkes Sitzfleisch erfordern. 

Der Redner hatte Talent. In guter kommunistischer Manier hielt er über geschlagene drei Stunden eine Kampfrede, die ihresgleichen sucht. Wortgewandt und vor allem mit teils elegantem, teils rüdem Wortwitz schaffte er es, die etwa 3.500 Gäste bei Laune zu halten. Im ersten Teil überwogen pointenstarke Überspitzungen, wie sie besonders erfolgreiche Politiker zu platzieren wissen. Die Zuhörerschaft lachte viel und laut und bedankte sich mit regelmäßigem Zwischenapplaus. Selbst wenn einem die politische Ausrichtung nicht passte, die Pointen saßen und der Unterhaltunsgwert war gegeben. 
Im zweiten Teil setzte sich das Gewitter der Vorwürfe gegen die anderen Parteien fort, reduziert allerdings um den humorigen Teil und angereichert um jede Menge kleinerer sarkastischer Anmerkungen und größerer Beleidigungen an die stumpf dauerklatschenden Sekundanten („Sie klatschen, aber ein Großteil von Ihnen hat genau diese Leute bei der letzten Wahl gewählt und wird es wieder tun“). Spaß machte es da schon lange nicht mehr, wilde „Fakten“(?), Verschwörungstheorien, Pauschalisierungen vom Feinsten und billige populistische Schnelllösungen („Wenn wir den Reichen über zehn Jahre verteilt fünfzig Prozent abnehmen, haben die hinterher immer noch ganz viel, aber wir sind nachher alle schuldenfrei“) gaben sich die Hand. Jedoch das Publikum wusste, was es seinem intellektuellen Großmeister schuldete, und applaudierte fleißig durch, echte Anhänger eben. Aber die gibt’s nun wirklich in jeder Partei, da darf man sich nicht beschweren, wenn man sich auf einer PDS-Show befindet. 

Was mich wirklich beeindruckte, war der rhetorische Coup des Gastgebers, in drei Stunden Redezeit genau EIN einziges Mal den Parteinamen „DIE LINKE“ in den Mund zu nehmen – grandioser Kunstgriff, aufrichtige Gratulation! So konnte man fast meinen, in einer Kabarettveranstaltung, statt auf einer Parteitagsrede gewesen zu sein. Auch die Tatsache, dass die Zuhörer knapp 20-30 EUR Eintritt für die Rede im ausverkauften Tempodrom gezahlt hatten, unterstützte diesen Eindruck nachhaltig. Das sollen CDU, SPD & Co erstmal nachmachen! 

Andererseits: Politisches Kabarett ist idealerweise ein kritischer Finger in den Wunden der Regierung oder auch der Opposition, nicht jedoch primitive Propaganda für eine bestimmte Partei, siehe z.B. die hervorragende „Heute Show“ im ZDF.

Kurz: Es war eine Erfahrung, die zumindest ich nicht wiederholen muss. Von daher werde ich vermutlich nicht noch einmal zu einer Veranstaltung von Volker Pispers gehen.

Montag, 24. November 2014

Wenn Hintergrundmusik versucht Hauptsache zu sein

Nachdem ich am Samstag das hervorragende Konzert vom Windwerk in der Emmauskirche wieder sehr genossen hatte, freute ich mich umso mehr auf die Piano Guys im Tempodrom. Die Youtube-Stars spielten vor fast voller Halle, vor einem bemerkenswert unkritischen Publikum. Die Klavier/Cello-Interpretationen klassischer Werke und verschiedener Popstückchen waren durchgängig angenehm zu hören. Aber häufig blieb unklar, wie viel wirklich live auf der Bühne gespielt und wie viel aus Aufzeichnungen zusätzlich eingespielt wurde. So drängt sich der Vergleich mit Straßenmusikern auf, die häufig kleine Orchester aus der Dose mit sich herumtragen. Schade, bei einem live-Konzert erwartet man mehr.

Die Stücke waren zwar alle schön, aber durch die abwechslungsreichen Videoclips geriet ohnehin das Visuelle in den Vordergrund und das Klangliche wurde zur gemütlich ablaufenden Hintergrundmusik degradiert. So wurde die Bühne heute Abend quasi ein stark vergrößerter Youtube-Screen. Nur schade, dass ich nebenher nicht, wie zuhause, andere Dinge machen konnte.

Immerhin: die beiden Jungs waren recht sympathisch, unterhaltsam und konnten gut mit dem Publikum interagieren, da habe ich schon ganz andere Konzerte erlebt*.

Kurz: nett, aber bei aller musikalischer Kompetenz, mehr (leider) auch nicht.


(*z.B. vor Jahren Joe Cocker, der es ganze dreimal schafft mit dem Publikum zu sprechen 1. „Hello Innsbruck“, 2. „May I introduce the band to you: This is Jim, this is Pete, this is ….“, 3. „Goodbye Innsbruck“).


Samstag, 8. November 2014

25 Jahre Mauerfall, und ein bisschen weise

Am Vorabend der 25-Jahre-Gedenkfeiern des Mauerfalls zeigten die abertausenden Menschen auf den Straßen, welches für sie der wirkliche Gedenktag der Deutschen Einheit ist. Nicht der künstliche, damals politisch gewollte, 3. Oktober, sondern eben der 9. November. Die Kette der leuchtenden Ballons, markiere recht anschaulich die alte Trennung. Aber am anschaulichsten war dann doch die große Fernsehwand gegenüber der amerikanischen Botschaft, auf der in endlos-Schleife Original-TV-Aufnahmen aus den Zeiten des Mauerbaus liefen ("Niemand hat die Absicht eine Mauer zu bauen"). Die Tränen der Kinder und der Erwachsenen, als sie fassungslos vor der sich langsam auftürmenden Mauer standen und auf der anderen Seite ihren Eltern, Großeltern oder Geschwistern zuwinkten waren so grausam anzusehen und jagten mir Schauer über Schauer über den Rücken. Damals hatte keiner von ihnen auch nur geahnt, dass dieses Bauwerk so lange stehen bleiben sollte und ein ganzes Land in ein Gefängnis mit gnadenloser Todeszone verwandeln würde. Hätten sie es geahnt, wären die meisten von ihnen vermutlich, wie einige andere, aus den letzten offenen Fenstern in den Westen gesprungen.
 Wirklich hart packte es mich allerdings, als ich mich umdrehte, um nach Hause zu gehen. Denn plötzlich sah ich die tausenden Zuschauer, die auf die Fernsehwand starrten. Eine unendlich große menschliche Wand aus erstarrten, entsetzten, ergriffenen, fassungslosen Gesichtern. Ob alt, ob jung, das Grauen stand allen in ihre Gesichter geschrieben. Ich kann mir nicht vorstellen, dass auch nur einer der Zuschauer zu den Wählern der Nachfolgepartei der Mauerbauer zählte.
Lebendige Erinnerung in Wort und Bild ist so unglaublich wichtig für ein ganzheitliches Geschichtsverständnis. Wachhalten und aktives in Erinnerung rufen verhindert vielleicht einmal das Wiederholen schrecklicher, geschichtlicher Fehler. Auch dafür war der Standort der Übertragungswand hervorragend gewählt.