Wahrscheinlich war ich in meinem Leben schon bei mehreren
hundert klassischen Konzerten. Aber wenn ich mich recht entsinne, war es heute
das erste Mal unter freiem Himmel. Classic Open Air. Was für Erlebnis. Der Gendarmenmarkt ist abgesperrt
wie zu einem Staatsbesuch. Aber ist man erst einmal hinter den
dreckigweißen Plastiksichtblenden, stört es einen gar nicht mehr, man ist ja
schließlich drinnen und nur die da draußen haben das Problem mit der schlechten
Aussicht. Man bekommt also einiges geboten, für seine 70 EUR Eintritt. Zum
Beispiel die Möglichkeit Mineralwasser des Sponsors (O-Ton des Ansagers „Ohne
unsere Sponsoren wäre das alles hier nicht möglich gewesen“) zu genießen.
Läppische zwei Euro für 0,2l halbwarmen Spreequells, welches Dank des Pappbechers nach selbigem schmeckte.
Ich habe den Teil mit dem „Sponsor“ anscheinend nicht richtig verstanden. Im
Moment merke ich nur, dass ich der Sponsor für Spreequell bin.
Hell erleuchtet lenkt keine überflüssige Dunkelheit mich von
der Schönheit des Platzes und den lautstark schreienden Plakatwänden auf Fußballstadionniveau ab, die begleitende Hintergrundmusik dazu auf der
Bühne ist nett, ein Querschnitt bekannter Arien auf dem Niveau einer Klassikradio
live performance. Zwischen den Reihen laufen pausenlos Herden von Menschen
herum, getränkesuchende Zuhörer, Hostessen von links nach rechts und umgekehrt,
Unmengen anderer Veranstalter-Mitarbeiter, die gerade nichts Besseres zu tun
haben. Unterhaltungen um mich herum erfolgen dankenswerterweise nur halblaut,
aber doch laut genug, dass mir die im Vergleich zur Philharmonie (naturgemäß)
schwächere Akustik des Platzes nicht zu sehr auffällt, sehr mitfühlend von allen. Überraschende Sensation für mich war der (anscheinend auch ansonsten noch nicht so bekannte) rumänische Tenor Remus Alazaroaie, es gibt nur wenige Tenöre, die ich wirklich gerne höre, seine weiche und warme Stimme packte mich jedoch sofort, da verzeiht man gerne einen Ansatzfehler. Also Namen unbedingt merken.
In der Pause genoss ich den Anblick der Mitarbeiter der
Getränkestände: mehr Entspannung und Gelassenheit habe ich selten spüren können
bei Menschen, die nur 15 Minuten Zeit hatten, hunderte von Gästen mit Getränken
zu versorgen, vorbildlich. Aber die Wartenden in den Schlangen vor den Buden
hatten überraschenderweise viel weniger ZEN-Gesinnung als die Angestellten und
verzichteten lieber reihenweise auf den Kauf der Getränke. Mir tat da der „Sponsor“
schon ein bisschen Leid, der dadurch auf einen guten Teil seiner möglichen
Einnahmen verzichten musste.
Ute Lemper nach der Pause sollte das Highlight sein, aber
mir hat ihre gequetschte Stressstimme noch nie gefallen, sondern mich immer
eher nervös gemacht.
Irgendwie hatte ich mir das anders vorgestellt. Aber der
Mensch ist, was seine Erwartungen aus ihm machen. Also schwenke ich um und genieße
den Abend als Erfahrungspunkt: Open Air und Klassik ist in für mich keine
schöne Kombination. Und auch Klassikradio hört sich zu Hause einfach besser an.
Und zum Schluss wurde es auch noch richtig unterhaltsam, als die Gäste aufgrund
des herannahenden Sturmes scharenweise aufstanden und vorzeitig, fast panisch
raushetzten. Der Regen setzte erst zehn Minuten nach Ende des (verkürzten)
Konzerts ein.
Schade eigentlich.